Sebastian Krieg

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Techblog

Zielkonflikt: Usability vs. Funktionssicherheit

Zielkonflikt im Mobile Engineering Usability und Funktionssicherheit jedes Mal neu abwägen Vor etwa drei Jahren standen wir vor der Aufgabe, eine neue Art der Steuerung für Multimedia- und Komfortfunktionen im Auto zu erfinden: Fond-Passagiere steuern die Klimaanlage vom Rücksitz aus, wählen ihr Musikprogramm, stellen die Massagefunktion am Sitz ein oder regeln, ob das Panoramadach verdunkelt…

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Zielkonflikt im Mobile Engineering

Usability und Funktionssicherheit jedes Mal neu abwägen

Vor etwa drei Jahren standen wir vor der Aufgabe, eine neue Art der Steuerung für Multimedia- und Komfortfunktionen im Auto zu erfinden: Fond-Passagiere steuern die Klimaanlage vom Rücksitz aus, wählen ihr Musikprogramm, stellen die Massagefunktion am Sitz ein oder regeln, ob das Panoramadach verdunkelt wird oder nicht – so die mittlerweile umgesetzte Vision.

Was auf den ersten Blick nach einer einfachen Steuerungs-App aussieht, entpuppt sich in zwei Jahren Entwicklungsarbeit als ein hochkomplexes Mobile-Engineering-Projekt: Wir implementieren ein optisch hochwertiges, anspruchsvolles und für die Zielgruppe optimiertes Design, und realisieren die Schnittstellen zum geschlossenen System „Fahrzeug“.

Die App soll

  • mit Bordnetzen und Steuergeräten kommunizieren, da ein Auto ja keine „App-Schnittstelle“ hat;
  • trotzdem die Kommunikation in den Bordnetzen nicht stören, da sie in sicherheitsrelevanten Fällen Vorrang vor Komfort-Funktionen wie Temperatur-Regelung haben muss;
  • auf andere Baureihen eines Automobilherstellers übertragbar sein;
  • nur die Funktionen anzeigen, die das Auto mitbringt, denn ein Modell ohne Massage-Sitze braucht die Massage-Steuerung nicht in der App;
  • auf keinen Fall die Funktionssicherheit kompromittieren.

Der volle Umfang der Komplexität im Projekt wurde (zum Glück) erst im Verlauf des Projektes deutlich. Als Beispiel: Beim schnell daher Gesagten „Musikhören“ unterstützen wir zum Beispiel zwanzig(!) integrierte Medienquellen. Nebenher decken wir alle möglichen und unmöglichen Fälle ab, die den Fahrer ablenken könnten und damit die Sicherheit der Fahrgäste gefährdet. Zum Beispiel stellt unsere App den Ton ab, wenn ein Mitfahrer über Kopfhörer in voller Lautstärke Musik hört und das Kabel plötzlich aus der Buchse zieht. Falls ein Fond-Passagier dem Fahrer ein Lied vorspielen möchte, muss er den Wiedergabeknopf erneut drücken. Das kann dem musik-vorspielenden Mitfahrer vielleicht lästig sein. Zugunsten der Sicherheit nehmen wir das in Kauf.

Dieses unscheinbare Beispiel zeigt, dass wir es bei der Umsetzung vieler Anforderungen mit einem Zielkonflikt zu tun haben: Wir müssen zwischen User Experience und Funktionssicherheit abwägen. Ein generelles „Richtig“ oder „Falsch“ gibt es dabei nicht, den Balancepunkt finden wir für jede Anforderung neu. Nur so entwickeln wir ein integriertes Stück Software, das sich in die Anmutung des Fahrzeuges einfügt und gleichzeitig keine Abstriche bei der Funktionssicherheit macht.

Funktionssicherheit versus User Experience

Bleiben wir bei der Lautstärke: An Ihrem Smartphone verstellen Sie die Lautstärke einfach mit langem Drücken. In unserer App müssen Sie das Plus- oder Minus-Symbol des Lautsprecher-Menüs mehrfach drücken. Jede Interaktion verstellt die Lautstärke um eine Stufe. Damit vermeiden wir, dass ein Fahrgast Musik aus Versehen maximal laut stellt – zum Beispiel, wenn er sein Mobile Device bei unebener Fahrbahn plötzlich fest packt, um Aus-der-Hand-Rutschen zu verhindern.

Das Gegenbeispiel ist die Steuerung der Klima-Anlage: Der Fahrgast stellt die gewünschte Temperatur direkt über einen Schieberegler ein. Wählt jemand versehentlich eine Maximal-Temperatur, wirkt sich das nicht sofort aus: Bis die Temperatur angeglichen ist, bemerken Mitfahrer oder Fahrer, dass es zu warm oder zu kalt wird.

Deswegen fällt die Sicherheitsbewertung für die Klimaanlange anders aus als für die Lautstärke. Hätten wir die Bedienung der Klimaanlage wie die der Lautstärke entworfen, hätten wir für die Klimasteuerung nicht die beste Lösung im Zielkonflikt zwischen Funktionssicherheit und User Experience gefunden.

Von Fall zu Fall entscheiden

Viele Anwendungen nutzen eine App auf einem Mobil-Gerät als Schnittstelle zum User. Leichtgewichtiger Zugang bedeutet dabei nicht Fliegengewicht. Das Gegenteil ist der Fall: Mobile Anwendungen vernetzen Dinge und Systeme in der Welt, und machen deren Bedienung für den User möglichst einfach. Die Komplexität in der Entwicklung entsteht nicht durch das Steuern oder die angeforderten Funktionen, sondern durch die Integration in das Gesamtsystem unter Berücksichtigung von Usability und Fahrzeugsicherheit. Dafür gibt es keine allgemeingültige Lösung – das perfekte Ergebnis ist von Anwendungsfall zu Anwendungsfall verschieden.


Über den Autor

Sebastian Krieg

Bereichsleiter Mobile & X-Reality

Sebastian arbeitet seit 2006 bei MaibornWolff. Als studierter Informatiker liegt seine technische Leidenschaft auf den Entwurf von passgenauen Softwarearchitekturen für Mobile Devices, sei es Smartphones, Tablets oder AR-Brillen. Mit seiner Passion für nachhaltige Software-Lösungen berät er Kunden im Mobile Umfeld.