Von Nicole Forrai

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TalkAbout

Erfolgreiche Projektarbeit in Zeiten physischer Distanz

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Der Begriff „Social Distancing“ ist falsch. Dieser Satz, der vor Kurzem bei einem Online-Training fiel, ließ mich aufhorchen. Denn: Der Begriff drückt nicht das aus, was wir gerade erleben – im Gegenteil: Aufgrund der Kontaktsperre sollen wir unnötige Kontakte auf lebensnotwendigen Gänge, etwa Lebensmittelkäufe und Arztbesuche, reduzieren. Treffen wir dabei unweigerlich auf Personen, die nicht zum eigenen Hausstand gehören, ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Um einer Ausbreitung des Coronoa-Virus zu trotzen, ist also nicht soziale Distanz gefragt, sondern „Physical Distancing“.

Wir wollen und sollen nicht aufhören zu reden, uns auszutauschen, zu kommunizieren. Doch für Unternehmen, die es gewohnt sind, ihre Arbeit über persönliche Kontakte mit Vor Ort-Präsenz zu organisieren, gerät diese physische Distanz zur Bewährungsprobe für ihre interne Zusammenarbeit.

Viele Menschen kennen die „klassischen“ Tools zur Kontaktaufnahme, wenn „Physical Distance“ geboten ist. Mehr noch: Zurzeit wird vielerorts ein bunter Strauß an zusätzlichen Werkzeugen angeboten und erhält mediale Aufmerksamkeit – eröffnen diese Tools doch weiterführende Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit. Aufgrund der aktuellen Situation sind viele Tools zum Teil kostenfrei einsetzbar. Umso schwieriger ist es, herauszufinden, welches das richtige Tool ist und zum eigenen, akuten Bedarf passt.

Ein privater Beratungs-Case

Beim Online-Wein sprach ich kürzlich mit einem Bekannten, der in einer Kanzlei beschäftigt ist und der mich mit der Frage „Wie macht ihr das eigentlich mit diesen sogenannten Videokonferenzen?“ um Rat bat. Als Beraterin ist für mich der Kontext spannend und wichtig, aus dem heraus die Frage formuliert wurde. So verstehe ich besser, wie ich helfen kann: Wie arbeitet diese Firma aktuell zusammen? Welche Software und Tools werden bereits eingesetzt? Für welchen Use Case wird aktuell nach einer Lösung gesucht? Wo drückt gerade der Schuh und was ist das eigentliche Ziel hinter dem zunächst formulierten Wunsch nach Videokonferenzen?

In diesem Falle war der Zusammenhang schnell erfragt: Die Kanzlei mit ihren circa 25 Mitarbeitenden benötigt für die Beratung und den Austausch mit ihren Mandanten und Klienten einen schnellen Weg der Kommunikation im digitalen Raum. Schnell, unkompliziert und ohne Aufwand sollte es sein, sodass Gespräche mit Externen möglich sind, die höchstwahrscheinlich bis dato keine Erfahrung mit Remote-Arbeit hatten.

Fast unbewusst geht hier mein Beratungs-Modus an: Lässt sich das Ganze größer denken? Ist es möglich, das perfekte Toolset zu finden, das sich auch in die vorhandenen Systeme integriert? Soll auch die interne Zusammenarbeit mit KollegInnen im Homeoffice gefördert und ermöglicht werden?

So schnell wie die Beraterin in mir reagierte, so sinnvoll war es, zu den Grundsätzen des kundenzentrierten Vorgehens zurückzukehren: Nicht der größere Zusammenhang ist entscheidend, sondern die Passung von Nutzerkontext auf die mögliche Umsetzung. Auch wenn wir gerade ein Überangebot an unterschiedlichen Collaboration Tools am Markt erleben und auch wenn wir in der IT die Möglichkeit haben, groß und weit zu denken, geht es doch aktuell vorrangig um die Verhältnismäßigkeit von Situation, Kontext und Intention. Es geht darum, herauszufinden, was wirklich notwendig ist und zum jeweiligen Bedarf passt –  ohne zu überfordern, ohne zu kompliziert und zu umfassend zu sein.

Individuelle Lösungen für individuelle Fragestellungen

Ähnliche Herausforderungen erleben wir in unseren Beratungs- und Umsetzungsprojekten. Stark verkürzt: Wir werden beauftragt, für ein ganz spezifisches Problem eine passende Software zu entwickeln. Dies tun wir natürlich digital und in vielen Bereichen bereits stark mit verteiltem Arbeiten. Allerdings stehen bei der Lösungsfindung auch bei uns viele Präsenz-Meetings, Live-Workshopformate und persönlicher Austausch auf dem Programm, um gemeinschaftlich mit dem Kunden das richtige Ergebnis zu entwickeln. Doch was tun, wenn Kunden, wir und unser Umfeld Corona-bedingt auf „Homeoffice as the new normal“ umsteigen?

Gerade wenn es um den Menschen geht, heißt 100-prozentig digital zu arbeiten, klug zu überlegen, welche Tools wir wie einsetzen, wie wir unsere Kompetenzen in die Online-Welt „übersetzen“ und wie wir unseren Kunden eine 100-prozentig digitale Wertschöpfung ermöglichen.

Stellen wir uns beispielsweise eine Situation vor, in der wir mit Kunden, weiteren Stakeholdern und dem Team gemeinsam Ideen zu einem Prototypen entwickeln wollen und dafür bislang Post-its, Stifte und Papier eingesetzt haben. Wenn wir aufgrund eines Kundenbedarfs heraus das proprietäre Office-Umfeld nicht verlassen dürfen, sind nicht nur Methodenkompetenz, Toolkenntnis und Moderationsfähigkeiten gefragt.

Unsere Lösung: Ein digitales Whiteboard in Microsoft Teams integrieren, Zugänge vorbereiten und Teilnehmende vorab einladen​. Voting erfolgt über ein digitales Board​, die Scribbels werden auf Papier gezeichnet, abfotografiert und mit der Gruppe im Teams-Chat geteilt​. Die Kommentare zu den Scribbels werden für alle sichtbar digital erfasst, zum Beispiel auf digitalen Post-its im digitalen Board.

In einem anderen Kundenprojekt ging es um die Frage, wie es gelingt, dass in einem Online-Workshop Einzel-Teams in individuelle Gruppen-Calls gehen können – ohne den Bezug zum Gesamtworkshop zu verlieren. Hier ließen sich mittels Breakout-Sessions kleine, individuelle Meetingräume anlegen. Diese wurden nach einiger Zeit wieder geschlossen und im Hauptraum die jeweiligen Ergebnisse zusammengeführt.

Oder wir beraten unsere KundInnen darin, wie sie Stimmung in den virtuellen Raum bekommen, wenn ein ganzer 8-Stunden Online-Workshop auf der Agenda steht. Hierfür haben wir dank unserer langjährigen Erfahrungen im Remote-Arbeiten einige Mini-Interventionen und Checklisten gesammelt, die uns in der Zusammenarbeit helfen.

Fazit

All diese Beispiele haben gemein, dass unseren Kunden und Kundinnen spezifische Ziele und Bedürfnisse haben, die individuelle Lösungsansätze erfordern – besonders jetzt in Zeiten von „Physical Distancing“. Denn Online Collaboration heißt, den sozialen Aspekt der Interaktion und Passung von Setting zu Tooling zu gewichten und demnach zu entscheiden, was und wie eingesetzt wird.

So wie im Fall meiner privaten Mini-Beratung: Der sinnvollste Ansatz für meinen Bekannten war ein ad hoc einsetzbares Videochat-Tool für den Eins-zu-eins-Austausch, für das man lediglich einen Link ohne großen Software-Installation verschickt.


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Von Nicole Forrai