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Digitalisierung: Wer Angst hat, hat verloren
Jonathan Reichental, CIO von Palo Alto, bringt es in einem Satz auf den Punkt: „The next big thing that will destroy a business is simply a couple of smart folks with an idea, an internet connection and the motivation to execute.“ Viele Organisationen haben dies in den letzten Jahren schmerzhaft zu spüren bekommen, plötzlich war…
Jonathan Reichental, CIO von Palo Alto, bringt es in einem Satz auf den Punkt: „The next big thing that will destroy a business is simply a couple of smart folks with an idea, an internet connection and the motivation to execute.“ Viele Organisationen haben dies in den letzten Jahren schmerzhaft zu spüren bekommen, plötzlich war der über Jahre etablierte Mehrwert ihres Unternehmens angegriffen und in Frage gestellt. Das Bewusstsein für eine unsichtbare Gefahr in ihrem Ökosystem hat viele Organisationen erreicht. Der Business-Volksmund nennt das „Digitale Transformation“ und glaubt, dass man Unternehmen dabei helfen kann, dieser zu begegnen und sie zu gestalten. Kann man das?
Der Angst vor dem Unbekannten
Unternehmen haben verschiedene Strategien, dem Ungewissen in ihrer Umwelt die Stirn zu bieten. Schaut man auf die DAX30 Unternehmen haben alle etwas gemeinsam: Sie investieren verstärkt in Inkubatoren, Accelerator und Venture Capital. 67 Programme von 30 Unternehmen wurden bis jetzt ins Leben gerufen (mehr hier). Sie alle wollen junge, frische Ideen fördern oder aufkaufen und mit ihnen experimentieren. Der Treiber: Die Value Proposition des eigenen Unternehmens schützen und stetig erweitern. Dahinter steht die Angst vor dem Wettbewerber, den niemand auf dem Schirm hat.
Nalebuff und Brandenburger beschreiben 1996 in ihrem Buch „Coopetition“ den Kern von Wettbewerb: „A competitor is someone who threatens your value.“ Das kann jemand völlig Unbekanntes sein, etwa die Gruppe Menschen, die Jonathan Reichental im Eingangszitat so treffend beschreibt; oder auch ein Vertreter aus einer Branche, die man bis zu diesem Zeitpunkt nie als Konkurrent empfunden hat. Es sind jedoch tendenziell nicht mehr die Unternehmen, mit denen man bisher gemeinsam den Markt gestaltet hat, wie es beispielsweise für Audi, BMW und Daimler im Automobilmarkt gilt. Durch verschwimmende Grenzen wird die Lage für Unternehmen immer unübersichtlicher; und die Angst, von einem neuen Mitbewerber verdrängt zu werden, berechtigt. Für mich ist diese Angst Kern und Treiber von dem, was so gerne als digitale Transformation bezeichnet wird.
Kontinuierlich verändern statt agilisieren
Bleibt die Frage, was es nun eigentlich braucht, um dieser Angst zu begegnen.
Aus meiner Sicht ist das in erster Linie Anpassungsfähigkeit, also die Kompetenz immer wieder mit neuen Herausforderungen, Technologien und Bedürfnissen umzugehen. Damit meine ich nicht, reflexhaft eine Organisation oder ein Projekt zu agilisieren. Das beobachte ich an vielen Stellen: Ein Vorhaben wird „einfach agilisiert“, ohne die Menschen dahinter abzuholen, zu befähigen und mit der Freiheit auszustatten, die es in diesem Rahmen braucht. Es muss vielmehr darum gehen, Menschen mit der Fähigkeit auszustatten und Kulturen zu schaffen, im kontinuierlichen Wandel sich selbst zu wandeln.
Nico Stehr und Dustin Voss beschreiben dies hier ganz ähnlich als Wissensfähigkeit: die Kompetenz, Information intelligent auszuwählen, zu evaluieren und zu produktivem Handeln umzusetzen. Handlungsfähig sein, „ohne vorher zu wissen, was genau die digitalisierte Zukunft bereithält“. Das muss jeder einzelne können.
Eine Organisation sollte sich nach meinem Empfinden außerdem nie auf Erreichtem ausruhen, sich Fehler schnell eingestehen und Vertrauen in wichtige Treiber einer Organisation haben. Die Spotify Engineering Culture (hier mehr Infos) ist ein sehr beliebtes Beispiel dafür und auch MaibornWolff macht hier riesige Schritte.
Mit dem Anspruch, sinnstiftend und als Plattform der Mitarbeiter zu agieren, befähigen wir viele der genannten Aspekte, müssen uns aber dennoch kontinuierlich hinterfragen. In welche Richtung wollen wir unser Leistungsangebot entwickeln? Welche Fähigkeiten sind in den nächsten Jahren wichtig und gefragt? Was wünschen sich unsere Kollegen, um auch morgen noch gerne zur Arbeit zu kommen? Ich glaube: Wenn wir vorläufige Antworten auf diese Fragen finden, die wir trotzdem nie als gegeben ansehen sondern stetig weiterentwicklen, dann leben wir in der Digitalisierung. Wer Angst vor ihr hat, dem wird das nicht gelingen.